Mausgebloggt
Dienstag, 31. Oktober 2006
Mein Arbeitgeber
Es ist derzeit nicht immer einfach. Ich fange neu an, habe Probleme mit der Sprache, mir fehlt ein fester Bekanntenkreis. Durchhänger treten auf und die Frage ”Ist es das wirklich, was ich will?” steht im Raum. Ehrlich beantwortet: ich weiß es nicht.
Ich weiß aber, warum ich hier gerne bin und warum ich gerne ausgerechnet für diesen Arbeitgeber arbeite: mein Arbeitgeber lässt im auf der großen Leinwand Piratensegel setzen, dort Autos sprechen und Kinder durch Kleiderschränke Zauberreiche betreten. Derweil lässt er auf unseren Fernsehbildschirmen die Hausfrauen der Wisteria Lane verzweifeln, die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes auf einer mysteriösen Insel stranden und schickt mit ”Scrubs” und ”Grey’s Anatomy” gleich zwei Gruppen junger Menschen in das durchgeknallte Kliniktreiben. Und mit Blick auf so manches DVD-Regal ist es mein Arbeitgeber, der Samuel Jackson und John Travolta über einen Hamburger Royal diskutieren und René Zellweger und Catherine-Zeta Jones über Chicago’s Bühnen tanzen lässt.
Es ist mein Arbeitgeber, der seit mehr als fünfzig Jahren Tag für Tag tausende von Menschen aus deren Alltag in Welten von Gestern, Morgen und der Fantasie einlädt. Mehr als 100.000 meiner Kollegen kümmern sich in elf Themenparks (von denen sich acht unter zehn meistbesuchten Parks der Welt befinden) in fünf Städten auf drei Kontinenten jedes Jahr um mehr als 100 Millionen Gäste. Diese Orte werden von Mäusen, Enten, Piraten, Geistern, Prinzessinnen, Astronauten, Abenteurern, Zeitreisenden, Bösewichtern, Zauberern, Zwergen, Drachen, Dinosauriern und Feen bewohnt. Man kann an ihnen in die Tiefen des Weltalls vorstoßen, dunkle Dschungel erkunden, über Plätze aus längst vergangenen Zeiten oder aus weit entfernten Ländern streifen und die Märchen seiner Kindheit wieder entdecken. Man kann staunen, lachen, mittanzen. Es sind Orte, an denen man nie erwachsen wird. Nimmerland.
Und es sind Orte, an denen ich mit ein paar kurzen Worten aus kleinen Mädchen edle Prinzessinnen
und aus kleinen Jungs wilde Piraten oder tapfere Raumpiloten machen kann. Es sind Orte, an denen ich Menschen zu einmaligen Erinnerungen verhelfen kann.

Und es sind Orte, die mich immer wieder oft ganz unerwartet in ihren Bann schlagen. So wie neulich. Ich sprach mit dieser Familie. (Auf Französisch, was schon ein ganz eigenes Erfolgserlebnis darstellt.) Und am Ende reicht mir dieses kleine Mädchen mit ihren langen blonden Haaren eines der Autogrammbücher, die es hier zu kaufen gibt, damit Mickey, Minnie, Donald, Goofy und wie sie alle heißen, darin unterschreiben können. Und sie bittet mich um meine Unterschrift. Mich.
Ich bin Teil ihres Disney-Erlebnisses. Ich bin Teil ihrer Erinnerung an diesen Ort mit seinen Märchenschlössern, Schaufelraddampfern, Dschungeltempeln und Raumkanonen.

Wir schaffen Erlebnisse. Jeden Tag. Wir schaffen Momente, an die sich ganze Familien Jahre später mit einem Lachen zurückerinnern werden.
Wir – ich, meine Kollegen in der ganzen Welt und mein Arbeitgeber mit den großen Ohren...

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Dienstag, 24. Oktober 2006
Mein guter Cop, mein böser Cop
Die Szene ist aus Filmen bekannt: Verhör. Ein nacktes Büro, diffuses Licht. Zwei Männer, meist in schlecht sitzenden Anzügen. Irgendwo eine Kaffeetasse. Eine verunsicherte Seele sitzt auf einem Stuhl.
Die Männer reden. Sie spielen Rollen. Der eine zeigt Verständnis, bietet eine fast schon helfende Hand. Der andere droht mit der ganzen Härte des Gesetzes – und meist der Dramaturgie des Films entsprechend noch darüber hinaus. Es sind Cops, die von der unruhig auf ihrem Stuhl sitzenden Gestalt ein Geständnis erringen wollen. Es ist ein Spiel, das man schon hundert Mal in irgendwelchen abgehangenen Filmen oder in am Fließband produzierten Krimiserien gesehen hat. Nichts besonderes, müsste man meinen...

...außer: man nimmt daran teil!

So geschehen am vergangenen Wochenende. Ich wusste nicht, wie mir geschieht. Man schickte mich zu unseren Hausdetektiven. Ich sollte übersetzen.
Über was sich viele nicht im Klaren sind: ja, wir haben in der Tat Hausdetektive. Ihre Aufgabe ist es, den Park und vor allem unsere Geschäfte zu observieren. Eigentlich wie in jedem Kaufhaus. Und sie machen einen guten Job. Fast meint man, sie seien unsichtbar. Unter all den zweifelhaft gekleideten Touristen fallen sie nicht auf. Das ist ihre Aufgabe. Und so erwischen sie immer wieder jemanden, der denkt, Disney sei so blöd nicht auf seine Waren aufzupassen.

So auch diese Dame, die ich dort auf einer unbequemen Holzbank sitzen sah, als ich im Büro unserer Detektive ankam. Glücklich sah sie nicht aus. Um sie herum Einkaufstüten. Sie starrte auf den Boden.
Der Chef der Detektive stellte sich mir vor und erkläre mir kurz, was nun passieren würde. Es war das erste Mal, dass ich zu einer Übersetzung gerufen wurde. Mir wurde eingebläut ja nicht für unseren ”Gast” Partei zu ergreifen. Okay, begriffen.
Das Verhör war faszinierend. Vor allem die Art, wie er die Fragen stellte. Zu Anfang wusste sie von nichts. Er wiederholte seine Frage. Sie gestand ein bisschen ein. Dann wieder die Frage. Sie gestand mehr. Dann noch mal. Er war tough. Sein Ton war einschüchternd. Ich kam mir vor, wie im Kino. Ich hörte mich Sätze sagen wie: ”Das Beste für Sie wäre nun wirklich die Wahrheit zu sagen.” Ich war aufgeregt. Es war spannend. Ich grinste wie ein Blöder während die Person neben mir ihren Urlaub mit einer Strafanzeige beendete. Ich war der gute Cop, der andere der böse. Er war der Boss. Er dirigierte. Er erreichte sein Ziel.

Am Ende war so viel gestanden, wie sie wohl im Moment gestehen konnte. Es war vorbei. Sie war fertig. Und mit dem Hinweis ”Sie warten nun hier, bis die Polizei Sie auf das Kommissariat bringt.” ich auch.
Was aus ihr wurde, weiß ich nicht. Eigentlich interessiert es mich auch nicht sonderlich. Es ist schlicht Teil meiner Arbeit. Ein aufregender Teil. ”Tatort” live.
Darf ich nun nächstes mal böser Cop spielen?

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Samstag, 21. Oktober 2006
Mein Nein
Eine Sache, die ich für meine Arbeit noch zu lernen habe ist – abgesehen von meinen sisyphos-ähnlichen Bemühungen die französische Sprache betreffend – zu begreifen, dass mein Wort Gesetz ist. Jedenfalls dem Gast gegenüber.
Nun bin ich ja von Haus aus jemand, dessen ”Nein” eher wie ”Neeeeijaaaa gut, ist okay” klingt. Was ich eigentlich mittlerweile auch besser wissen müsste. So bin ich schon in manche Situation hineingerutscht, die ich besser vermieden hätte. Ernsthaft: Freundschaften sind an meiner Neigung zum ”Ja” zerbrochen.

Allerdings arbeite ich jetzt an einem Ort, an dem ich starken Kontakt mit unseren Besuchern habe. Meist ist dies harmlos und mein ”Ja” richtet keinen großen Schaden an:
”Haben Sie einen Plan auf Englisch?” – ”Ja.”
”Kann ich hier einen Tisch für Heute Abend reservieren?” – ”Ja.”
”Gibt es im Park Tampons zu kaufen?” – ”Ja.”
Alles ganz harmlos.

Doch dann gibt es wiederum Besucher, die es wirklich darauf anlegen... und mein ”Ja” ist da völlig fehl am Platze. Wie letzte Woche, als an einem sehr gut besuchten Samstag sich eine französische Familie wie folgt beschwerte: sie seien am Nachmittag gekommen und hätten bis zum Abend nur eine Attraktion fahren können. Daher wollten sie ihr Geld zurück. Es ist natürlich zu fragen, wer so gestrickt ist, an einem Samstag erst am Nachmittag einen Freizeitpark aufzusuchen und sich dann zu beschweren, dass man vor lauter Leut’ zu nix kommt. Dies muss dem Gast schonend beigebracht werden. Schließlich wollten sie mit einem Vorgesetzten sprechen, weil ihnen meine Antwort nicht gefallen hat. (Ein ”Nein”, ob man es glaubt oder nicht.) Dankenswerterweise schaltete sich eine Kollegin, die recht strikt sein kann, in die Konversation ein. Die Gäste zogen unverrichteter Dinge ab.

Vor ein paar Tagen beobachtete ich eine andere Kollegin, dessen ”Nein” ich absolut bewundere: ein Niederländer hatte vor Jahr und Tag eine angeblich recht teure ”Winnie the Pooh”-Schneekugel gekauft (warum er das getan hat, soll außen vor bleiben). Irgendwie hatte er es geschafft, dass sich im Inneren der Kugel Schimmel angesetzt hatte. Er wollte die Kugel umtauschen. Oder sein Geld zurück. Wie auch immer.
Der Kassenzettel war allerdings verschwunden... den Verlauf der Diskussion mag man sich vorstellen: der gute Mann versuchte alles, um meine Kollegin zu überzeugen, dass er im Recht sei. (Wie man auf die Idee kommt, nach Jahren etwas ohne Kassenzettel umtauschen zu wollen und dann noch sauer zu sein, wenn dies nicht klappt, bleibt mir ein Rätsel.) Sie blieb beim ”Nein”. Sie zeigte keine Schwäche. Keine Zuckung. Stark.

Ich dagegen habe mit einem Saarländer zu kämpfen, der einen Behindertenpass für unsere Attraktionen will. Auf den ersten Blick sieht er kerngesund aus. Ein ärztliches Attest hat er nicht. Allerdings ist er ganz wild darauf mir seine halboffene Magendurchbruchswunde zu zeigen. Mein ”Nein” scheint ihn zu verblüffen. Ich muss auf das Attest bestehen. Geht nicht anders. Ausnahmsweise stell ich ihm für zwei Tage einen Pass auf. Er bleibt jedoch vier. Ich gebe ihm unsere Faxnummer, so dass er seine Ärztin bitten kann, uns das Attest zuzusenden. So recht einverstanden scheint er nicht zu sein.
Mir ist die ganze Unterhaltung unangenehm. (Nicht nur wegen der drohenden Demonstration der oben genannten Magendurchbruchswunde.) Ich mag es nicht ”Nein” zu sagen. Ist wirklich nicht meine starke Seite.

Aber ich muss es erlernen. Ich muss dem Gast klar machen, dass ich hier der Chef bin. Mag er auch Gast sein, so bin ich es, der die Regeln aufstellt.
Es ist eine wichtige Lektion, die ich da zu lernen habe. Eine, die mir nicht ganz leicht fallen wird. Aber eine, die mir in der Zukunft weiterhelfen dürfte...

”Bringst du den Müll raus?” – ”NEIN!”

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